Zwei Länderspiele als Formbarometer: Luxemburg und Nordirland mögen in der WM-Qualifikation vielleicht keine harten Nüsse sein. Aber der Bundestrainer steht unter Druck: Er muss endlich zeigen, dass er eine titelreife WM-Mannschaft aufbauen kann.

Pit Gottschalk
Eine Kolumne
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Zwei Botschaften vor den beiden Länderspielen am Freitag und Montag purzelten in den News-Ticker. Die erste kam von DFB-Geschäftsführer Andreas Rettig und lautete in zwei Sätzen so: "Wir dürfen uns keinen Ausrutscher mehr erlauben. Wir müssen den Kredit, den wir gerade etwas verspielen, wieder zurückgewinnen."

Die zweite schickte Rekordnationalspieler Lothar Matthäus ohne Umweg Richtung Bundestrainer Julian Nagelsmann: "Die Zeit der Experimente muss endlich vorbei sein. Sowohl in Sachen Taktik wie auch beim Personal. Die Mannschaft muss sich einspielen." Und in der Tat: Es sind keine neun Monate mehr bis zur WM 2026.

Ein Team ohne Hierarchie

Nun müssen wir aber nicht so tun, als ob Nagelsmann die Brisanz der Situation nicht verstünde. Die direkte WM-Qualifikation ist in Gefahr. Die Peinlichkeit beim 0:2 in der Slowakei und der Arbeitssieg beim 3:1 gegen Nordirland haben im September auch seinen Nimbus erschüttert, dass die EM-Euphorie von 2024 der Start zu Großem sein sollte.

War sie nämlich nicht. Nach dem Rücktritt der drei letzten Weltmeister Manuel Neuer, Toni Kroos und Thomas Müller fehlt dem DFB-Kader, was man Hierarchie nennt. Das Wort klingt zunächst etwas altmodisch, aber ist auch nur ein Synonym für alles, was auf dem Rasen während eines Krisenmoments passiert: ein Mannschaftsgerüst.

Man muss sich das so vorstellen: Wenn die Mannschaft zurückliegt – welcher Nationalspieler gibt dann den Weg vor, wie man zurück ins Spiel findet und das Ding dreht? Spontan fällt einem Joshua Kimmich ein, der Kapitän. Aber ist er in seiner Position so unerschütterlich, dass er anderen Spielern Orientierung gibt?

Denn darum geht's: um Orientierung. Das Mannschaftsgerüst soll dem Spiel Halt geben, und da stellt man schnell fest, dass weder der aktuelle Torwart (Oliver Baumann) noch der gelernte Abwehrchef (Antonio Rüdiger) gesetzt ist. Das Mittelfeld: ein bisschen Kimmich, ja, vielleicht Leon Goretzka, logo – aber sonst?

DFB-Offensive mit Schwierigkeiten

In der Abteilung Attacke soll derselbe Florian Wirtz zaubern, der beim FC Liverpool die erste Formkrise seiner Laufbahn durchleidet und nicht weiß, wo er steht. Jamal Musiala, der zweite Kreativkopf, fällt seit Monaten verletzungsbedingt aus. Niemand kann mit Bestimmtheit sagen, wie lange seine Rückkehr zur alten Form dauert.

Man sieht: Noch bevor die Mittelstürmerfrage beantwortet werden kann (Tim Kleindienst ist verletzt und Niclas Füllkrug neben der Spur), tummeln sich zu viele Fragezeichen im übrigen Teil der Mannschaftsaufstellung. Und wir wissen auch nicht, warum der Bundestrainer Ridle Baku ausprobiert und für ihn Maximilian Mittelstädt rasiert.

Zeit für klare Botschaften

Die zwei Länderspielgegner (Luxemburg am Freitag und Nordirland am Montag) sind zwar willkommene Sparringspartner, die zum Experimentieren einladen. Aber erstens haben die Experten das auch vor dem Slowakei-Spiel gesagt und zwei Watschen kassiert, und zweitens hat Lothar Matthäus doch recht.

Wann will eine Stammformation Spielzüge lernen, wenn nicht bei Gegnern, die keine zu große Gefahr darstellen? Die bittere Wahrheit ist jedoch: Die Startelf gegen Luxemburg wird niemals wieder so auflaufen. Bei verletzten Spielern kann man nichts machen. Aber auf Baku hat man ja in jüngster Vergangenheit aus gutem Grund verzichtet.

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Es liegt jetzt allein an Nagelsmann, dass er seinerseits Botschaften sendet. Zum einen: dass er weiß, was er tut, um eine titeltaugliche Mannschaft aufzubauen. Zum anderen: dass die Deutschen nicht die Lust auf ihre Mannschaft verlieren, weil man nicht mehr weiß, wer dazugehört und Bindung schafft. Dafür bleiben ihm keine neun Monate.

Über den Autor

  • Pit Gottschalk ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chefredakteur von SPORT1. Seinen kostenlosen Fußball-Newsletter Fever Pit'ch erhalten Sie hier.
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