Englands Nationalspielerin Jess Carter zieht sich aus den sozialen Medien zurück. Die Verlobte der DFB-Torfrau Ann-Katrin Berger sah sich dort heftigen rassistischen Beleidigungen ausgesetzt. Carters Teamkolleginnen reagierten sofort. Selbst der Premierminister schaltet sich ein.

Statt über das bevorstehende Halbfinale gegen Italien, spricht der englische Fußball erneut über Rassismus. Jess Carter, Verteidigerin der englischen Nationalmannschaft und Verlobte der deutschen EM-Heldin Ann-Katrin Berger, ist seit Beginn der Frauen-EM 2025 in der Schweiz Ziel rassistischer Anfeindungen in sozialen Medien.

Der Missbrauch gegen die 27-Jährige, der vor allem von britischen Internet-Nutzern ausgeht, überschattet auf der Insel sogar die sportliche Berichterstattung vor dem EM-Halbfinale am Dienstagabend in Genf (21 Uhr/ZDF und DAZN).

Carter hat seit EM-Start "viele rassistische Anfeindungen erlebt"

"Seit Beginn des Turniers habe ich viele rassistische Anfeindungen erlebt", schrieb Carter am vergangenen Wochenende in einem emotionalen Beitrag auf ihrem eigenen Instagram-Kanal. Die Fußballspielerin führte dort weiter aus: "Auch wenn ich finde, dass jeder Fan das Recht auf eine Meinung zu Leistung und Ergebnis hat, halte ich es nicht für richtig oder akzeptabel, jemanden wegen seines Aussehens oder seiner Herkunft ins Visier zu nehmen."

"Ich ergreife diese Maßnahme, um mich selbst zu schützen und meinen Fokus darauf zu richten, dem Team auf jede mögliche Weise zu helfen."

Jess Carter über ihren Social-Media-Rückzug

Die Verteidigerin des New Yorker Vereins Gotham FC kündigte an, sich für den Rest des EM-Turniers von sozialen Medien zurückzuziehen. "Ich bin dankbar für die Unterstützung der echten Fans, aber ich ergreife diese Maßnahme, um mich selbst zu schützen und meinen Fokus darauf zu richten, dem Team auf jede mögliche Weise zu helfen", schrieb die Nationalspielerin auf Instagram.

England verzichtet im EM-Halbfinale gegen Italien auf Kniefall

Als Reaktion auf die rassistischen Angriffe gegen ihre Teamkollegin haben die englischen Nationalspielerinnen einstimmig beschlossen, vor dem Halbfinale gegen Italien nicht mehr auf die Knie zu gehen – eine Geste, die das Team seit dem Tod von George Floyd im Jahr 2020 vor jedem Spiel praktiziert hatte. Das erklärte Englands Rechtsverteidigerin Lucy Bronze auf einer Pressekonferenz.

Bronze ist eine der erfahrensten Spielerinnen der "Lionesses", wie Englands Frauen-Nationalmannschaft liebevoll genannt wird: Auf einer EM-Pressekonferenz sagte Bronze über die Entscheidung, gegen Italien auf den Kniefall vor dem Anpfiff zu verzichten: "Ist die Botschaft so stark wie früher? Kommt sie wirklich an? Wir haben das Gefühl, dass sie es nicht tut, wenn unseren Spielerinnen im Turnier ihres Lebens so etwas widerfährt".

Die 33-jährige Bronze, die bereits ihr siebtes großes Turnier für England spielt, erzählte zudem von einer beunruhigenden Entwicklung: "Je größer der Sport [Fußball der Frauen, d. Red.] wird, desto lauter wird der Lärm, desto mehr Fans gibt es, aber auch desto mehr Kritiker. Die Online-Beschimpfungen scheinen immer schlimmer zu werden", sagte sie laut der englischen Zeitung "The Independent".

Carter erfährt Solidarität von Premierminister Keir Starmer

Der Eklat löste eine Welle der Solidarität aus. Aus aller Welt bekam Carter aufmunternde Nachrichten zugeschickt. Selbst der britische Premierminister Keir Starmer stellte sich demonstrativ hinter die Spielerin.

"Es gibt dafür weder im Fußball noch in der Gesellschaft einen Platz", schrieb Starmer beim Kurznachrichtendienst X. "Ich stehe an der Seite von Jess, an der Seite der Lionesses und jeder anderen Spielerin, die Rassismus auf oder neben dem Platz erleiden musste."

Auch Carters Verein Gotham FC veröffentlichte eine Stellungnahme: "Wir sind untröstlich und empört über den rassistischen Missbrauch, der gegen Jess Carter gerichtet ist. Jess ist nicht nur eine Weltklasse-Fußballerin – sie ist ein Vorbild, eine Führungspersönlichkeit und ein wertvoller Teil unserer Gotham FC-Familie", heißt es in der Erklärung des Klubs aus dem US-Bundesstaat New Jersey.

Auch für Deutschlands Nationaltorhüterin Ann-Katrin Berger dürfte die aktuelle Situation belastend sein, denn Carter ist nicht nur ihre Klubkollegin beim Gotham FC, sondern auch ihre Verlobte. Für Berger sei Partnerin Carter "meine beste Trophäe", schrieb Berger, die am vergangenen Samstag mit Riesen-Paraden einen maßgeblichen Anteil am Einzug der DFB-Frauen ins EM-Halbfinale hatte, in einem Social-Media-Post.

FA-Präsident Bullingham: Englands Fußballverband hat britische Polizei eingeschaltet

Der englische Fußballverband FA hat unmittelbar nach Bekanntwerden der rassistischen Beleidigungen die britische Polizei eingeschaltet. "Unsere Priorität ist Jess und ihr alle Unterstützung zu geben, die sie braucht", erklärte FA-Chef Mark Bullingham in einer offiziellen Mitteilung. "Wir verurteilen die Verantwortlichen für diesen abscheulichen Rassismus aufs Schärfste."

Bullingham fügte hinzu: "Bedauerlicherweise ist dies nicht das erste Mal, dass dies einem englischen Spieler passiert ist, daher hatten wir Maßnahmen, die es uns ermöglichen, schnell zu reagieren." Die Polizei stehe in Kontakt mit den relevanten Social-Media-Plattformen, um die Verantwortlichen für dieses "Hassverbrechen" zur Rechenschaft zu ziehen.

Auch Gianni Infantino, Präsident des Weltfußballverbands Fifa, sprach der englischen Nationalspielerin am Montag seine Solidarität aus. Des Weiteren beteuerte Infantino, die Fifa sei mit ihrem "Social Media Protection Service" bereits erfolgreich gegen Beschimpfungen im Netz vorgegangen. Die Fifa stelle "Daten zur Verfügung, damit geeignete Maßnahmen gegen die Täter ergriffen werden können".

Rassismus gegen eigene Nationalspielerin: In England leider kein Einzelfall

Der Fall Carter ist leider kein Einzelfall. Die rassistischen Anfeindungen gegen die Verteidigerin reihen sich ein in eine beunruhigende Serie ähnlicher Vorfälle im englischen Fußball. Nach der Niederlage Englands im EM-Finale 2021 gegen Italien wurden die drei schwarzen Spieler Marcus Rashford, Bukayo Saka und Jadon Sancho, die ihre Elfmeter verschossen hatten, massiv rassistisch beleidigt.

"Wenn du triffst, bist du Engländer. Wenn du verschießt, bist du ein Immigrant."

Ein Social-Media-User im Sommer 2021 über Rassismus im englischen Fußball

Dieses Muster fasste ein Twitter-Nutzer damals prägnant zusammen: "Wenn du triffst, bist du Engländer. Wenn du verschießt, bist du ein Immigrant", zitiert "The Conversation" einen Tweet aus jener Zeit.

Verschiedene akademische Nachforschungen, die "The Conversation" in dem Bericht zitiert, beweisen, dass rassistische Anfeindungen besonders dann auftreten, wenn Sport-Teams verlieren.

"Wenn sichtbar diverse Teams verlieren, steigen bestehende ausgrenzende und rassistische nationalistische Unterströmungen an die Oberfläche und manifestieren sich als Leugnung, dass farbige Spieler zur Nation gehören", erklärt Rachel Anne Gillett, Assistenzprofessorin für Kulturgeschichte an der Universität Utrecht, gegenüber dem Portal "The Conversation".

Bronze: Wachsende Popularität des Frauenfußballs führt auch zu Problemen

Carters England-Kollegin Bronze wies darauf hin, dass mit der wachsenden Popularität des Frauenfußballs seit dem EM-Sieg der Engländerinnen 2022 auch die Probleme zugenommen haben. "Der größere Erfolg des Sports ist ein zweischneidiges Schwert", zitiert "The Independent" die Verteidigerin. "Wir sind natürlich offen für Kritik, deshalb lieben wir den Sport, aber wir sind nicht offen für Missbrauch."

Empfehlungen der Redaktion

Im Fußball der Frauen scheint sich der Online-Missbrauch aktuell hauptsächlich auf soziale Medien zu konzentrieren, während im Männerfußball auch in den Stadien rassistische Vorfälle zu beobachten sind. "Ich denke, bei Online-Plattformen gibt es eine Möglichkeit, etwas zu ändern. Ich habe nicht die Antwort auf dieses Problem, weil ich nicht Chef der Social-Media-Plattform bin, aber ich bin sicher, dass es eine gibt", sagte Bronze weiter.

Verwendete Quellen: