Der frühere Stürmer des FC Bayern und ehemalige Co-Trainer von Borussia Dortmund spricht im Interview mit unserer Redaktion über die FIFA-Klub-WM, den möglichen Transfer von Nick Woltemade zum FC Bayern und die mangelnde Konstanz von Spielern wie Serge Gnabry, Leroy Sané oder Julian Brandt.

Ein Interview

Alexander Zickler hat als Experte in SAT.1 die Auftaktspiele der FIFA-Klub-Weltmeisterschaft begleitet. Der 51-Jährige kennt die deutschen Teilnehmer Bayern München und Borussia Dortmund gut. In seiner aktiven Zeit war er von 1993 bis 2005 Stürmer des FC Bayern, gewann in dieser Zeit sieben Mal die deutsche Meisterschaft und einmal die Champions League. In der Saison 2021/2022 war er Co-Trainer von Borussia Dortmund.

Mehr News zum FC Bayern München

Der FC Bayern München trifft im Achtelfinale auf Flamengo Rio de Janeiro aus Brasilien (Sonntag, 22 Uhr, live in SAT.1). Borussia Dortmund wird in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch (3:00 Uhr, live in SAT.1) auf CF Monterrey aus Mexiko treffen. Zickler analysiert im Interview mit unserer Redaktion Bayern und den BVB.

Herr Zickler, wie gefällt Ihnen bislang die Klub-Weltmeisterschaft?

Alexander Zickler: Im Vorfeld ist viel über dieses Turnier diskutiert worden. Die einen haben sich gefreut, weil es keine Fußball-Pause gibt. Auch ich finde, dass dieses groß aufgezogene Turnier eine coole Geschichte ist. Es spielen Mannschaften gegeneinander, die sich ansonsten höchstens in Freundschaftsspielen treffen würden. Es ist toll, Vereine wie Boca Juniors oder Fluminense zu sehen. Aber natürlich spielt auch die Gesundheit und Belastung der Spieler eine wichtige Rolle. Wenn man bei der Klub-WM weit kommt, beginnt direkt danach die Vorbereitung auf die neue Saison. Daher ist es verständlich, dass manche Trainer nach Möglichkeit rotieren, um die Belastungen zu verteilen.

Der FC Bayern München und Borussia Dortmund treffen im Achtelfinale beide auf südamerikanische Mannschaften. Wie groß ist die Stolpergefahr? Die Südamerikaner spielen bei der Klub-WM stark auf und sind die Hitze vielleicht eher gewohnt.

Es kann sicherlich ein Vorteil sein, dass die Südamerikaner die Hitze eher gewohnt sind. Einige europäische Mannschaften stoßen an ihre Grenzen. Zudem geht es bei diesem Turnier nicht nur um viel Geld, sondern auch um viel Prestige. Die Südamerikaner wollen den europäischen Top-Mannschaften zeigen, dass sie auch gut kicken können. Die werden hochmotiviert sein. Bayern und Dortmund müssen diese Spiele nicht nur fußballerisch, sondern auch körperlich annehmen. Das werden richtige Aufgaben.

Bayern München hat gegen Benfica Lissabon die erste Niederlage kassiert und war vor allem in der 1. Halbzeit - ohne Joshua Kimmich, Harry Kane und Michael Olise – klar schwächer. Jamal Musiala war angeschlagen und wurde geschont. Hat sich in diesem Spiel die Abhängigkeit von den Unterschiedsspielern gezeigt?

Ja, absolut. Aber ich kann die Rotation verstehen. Bald geht wieder die Bundesliga los. Die Belastungen müssen verteilt werden. Das ist natürlich ein Balanceakt. Es stand trotzdem viel Qualität auf dem Platz, aber diese Elf hatte noch nie zuvor in dieser Zusammensetzung gespielt. Mannschaften wie Bayern München und Manchester City brauchen ein funktionierendes Gerüst auf dem Feld, sodass die Abläufe stimmen. Du brauchst Spielerpersönlichkeiten auf dem Platz, die zur Stelle sind, wenn es nicht läuft. Als die genannten Spieler eingewechselt wurden, hat das Spiel besser harmoniert.

Haben Sie das Gefühl, dass die Verteidigung des FC Bayern durch die Verpflichtung von Jonathan Tah besser geworden ist? Oder ist das System des FC Bayern für die Innenverteidiger einfach schwierig zu spielen, weil sie hochstehen und große Räume abdecken müssen?

Diese Frage stellte sich bereits bei Minjae Kim. Er war in Italien der Defensivspieler des Jahres. Aber in Italien wird anders verteidigt als beim FC Bayern. Das war vielleicht sein Problem. Die Bayern verteidigen extrem hoch und wollen Druck machen. Das bedeutet, dass die Abwehr nachschieben muss. Die Verteidiger stehen teilweise fast an der Mittellinie. Gibt es einen Ballverlust oder einen langen Ball des Gegners, hat die Abwehr im Rücken viel Raum zu verteidigen. Natürlich hat das Spielsystem auch Vorteile, weil du viel Druck auf den Gegner ausübst.

Jonathan Tah muss sich an das System gewöhnen

Umso mehr stellt sich die Frage, wie gut Tah mit diesem System zurechtkommt. Das Gegentor gegen Boca Juniors hatte er auf seine Kappe genommen…

Mit Tah haben sie einen Verteidiger, der das bei Bayer Leverkusen sehr gut gemacht hat – allerdings in einer Dreierkette. Ich glaube, er weiß, was auf ihn zukommt und dass er sich an das System in München gewöhnen muss. Grundsätzlich ist er ein extrem schneller Spieler, der dem Gegenspieler auch mal den Ball ablaufen kann.

Serge Gnabry steht beim FC Bayern München häufig in der Kritik. Wie ist Ihre Einschätzung von ihm?

Bei ihm ist es eine Frage der Konstanz. Er hat extrem viel Qualität, ähnlich wie Leroy Sané. Das sind für mich Unterschiedsspieler, wenn sie Bock haben. Wenn sie Lust haben, arbeiten sie gut und bekommen auf dem Platz alles hin. Aber das müssen sie eben auch abrufen. Sie dürfen keine Ausreden suchen, dürfen nicht zu schnell zufrieden sein, müssen immer weiterarbeiten. Vielleicht fehlt ihnen genau das. Bei einem großen Verein wie dem FC Bayern ist es normal, dass auch mal andere Spieler auf deiner Position spielen. Dann darfst du nicht jammern, sondern musst permanent im Training alles geben.

"Woltemade ist ein herausragender junger Stürmer"

Beim FC Bayern wurde viel darüber diskutiert, ob eventuell ein Backup für Harry Kane benötigt wird. Nun soll laut Medienberichten eine Einigung zwischen dem FC Bayern und Nick Woltemade vom VfB Stuttgart bestehen. Wie bewerten Sie dies als ehemaliger Stürmer?

Er ist für mich ein herausragender junger Stürmer, der trotz seiner Größe extrem viel Fußball mitbringt. Es hat mich damals schon sehr begeistert, wie er Bälle festmacht und was für Bewegungen er macht. Und jetzt ist er auch noch richtig torgefährlich geworden – ob nun mit dem Fuß oder mit dem Kopf. Das ist auf die Zukunft gesehen ein sehr interessanter und kompletter Spieler, der am Boden geblieben ist. Er macht nicht den Eindruck, dass ihm der Erfolg zu Kopf steigt. Das wäre für den FC Bayern ein richtig geiler Deal.

Allerdings ist noch ungewiss, ob sich die beiden Vereine auf eine Ablöse einigen. Falls nicht: Wen könnten Sie sich ansonsten als Sturm-Backup für Harry Kane vorstellen?

Das ist gar nicht so einfach. Grundsätzlich wären gestandene Profis wie Niclas Füllkrug oder Tim Kleindienst sicherlich eine gute Lösung. Ich bin mir aber nicht sicher, ob sie sich mit dieser Rolle zufriedengeben würden, weil sie in den vergangenen Jahren gute Leistungen erbracht haben und spielen wollen. Wenn ja, wäre Kleindienst ein guter Mann, der fußballerische Qualität mitbringt und seine Tore macht.

Wenn Sie an Ihre eigene Vergangenheit zurückdenken: Was ist die große Herausforderung daran, ein guter Joker zu sein wie Sie damals?

Auch ich war ein Spieler, der immer spielen wollte. Aber ich wusste: Ich bin bei einem der größten Vereine der Welt, der viel erreicht hat. Ich habe immer versucht, meine Leistung zu bringen. Aber natürlich machen sich auch die Trainer Gedanken, welche Spieler der Mannschaft von der Bank aus am besten helfen können. Vielleicht war diese Qualität, dass ich in den letzten 15, 20 Minuten noch einmal Gas geben konnte, nicht immer förderlich für meine Karriere. Einige Trainer haben sich gesagt: "Gut, dann spielt jemand anderes von Anfang an und der Zickler bringt später noch einmal Schwung rein." Ist man ein Rotationsspieler oder Einwechselspieler, muss man mit diesem Rhythmus klarkommen. Teilweise spielt man zwei Spiele, dann wieder nicht. Es gab aber auch Zeiten unter Ottmar Hitzfeld oder Giovanni Trapattoni, in denen ich viel gespielt habe.

"Jobe Bellingham erinnert mich eins zu eins an Jude"

Borussia Dortmund hat die Gruppenphase der Klub-WM als Erster abgeschlossen, hatte allerdings eine vermeintlich leichtere Gruppe und tat sich in den Spielen teilweise sehr schwer. Wie bewerten Sie bislang die Auftritte von Dortmund?

Sicherlich war die Gruppe nicht so schwer. Im ersten Gruppenspiel gegen Fluminense (0:0) war Torwart Gregor Kobel sehr gut drauf und hat ihnen den Punkt gerettet. Wenn sie auf die großen Gegner treffen, braucht es eine Leistungssteigerung. Dennoch haben sie sich den Gruppensieg verdient. Sie haben die Tore gemacht und engagiert verteidigt.

Wie haben Sie Jobe Bellingham in den ersten Spielen für den BVB gesehen?

Wenn ich ihn sehe, erinnert er mich eins zu eins an Jude (Bellingham, Bruder von Jobe, Anm.d.Red.). Ich weiß natürlich, dass er seinen eigenen Weg gehen und nicht ständig mit seinem Bruder verglichen werden möchte. Aber sie spielen eben auf einer ähnlichen Position. Auch bei Jobe hat man sofort gesehen: Der will den Ball haben, ist überall auf dem Feld unterwegs, versucht Räume zu schaffen und geht in die Tiefe. Wenn er am Ball ist, habe ich teilweise wirklich gedacht, das wäre der Jude. Er hat bereits ein Tor und eine Vorlage gemacht. Das zeigt, dass er für Dortmund sehr wichtig sein kann. Er ist natürlich noch sehr jung, ist aber bereits ein Mentalitätsspieler. Ich glaube, dass Dortmund viel Spaß an ihm haben wird.

Julian Brandt ist nicht so ein Typ wie Joshua Kimmich

Ähnlich wie Leroy Sané in München steht im medialen Umfeld von Dortmund oftmals Julian Brandt in der Kritik, weil ihm vorgeworfen wird, nicht sein volles Potenzial auszuschöpfen. Sie haben als Co-Trainer von Dortmund mit Brand zusammengearbeitet. Wie sehen Sie ihn?

Ja, über ihn wird immer viel gesprochen. Wenn ich an meine Zeit zurückdenke, muss ich sagen: Jule war ein Grund dafür, dass man sich gefreut hat, zum Training zu gehen! Er polarisiert natürlich extrem. Die einen mögen ihm, die anderen nicht. Ich finde, dass er ein herausragender Fußballspieler mit vielen tollen Qualitäten ist – sei es mit dem Ball oder im Erkennen von Situationen, Räumen und Möglichkeiten.

Aber…?

Aber er sagt ja selber von sich, dass er nicht so ein Typ wie Kimmich ist. Die beiden sind zwar schwer zu vergleichen, aber beide haben den Anspruch, ein Führungsspieler zu sein, weil sie extreme fußballerische Qualitäten haben. Aber Kimmich agiert auf dem Spielfeld eben anders als Jule. Das weiß er auch. Er ist niemand, der einen Mitspieler auf dem Feld anschreit. Er muss es über seine fußballerischen Qualitäten machen, muss vorangehen und die Bälle fordern. Das hat er bei der Klub-WM teilweise gemacht. Gerade in schwierigen Phasen hat er sich die Bälle geholt und gearbeitet. Aber auch ihm fehlt in den ganz wichtigen Spielen diese absolute Konstanz als Führungsspieler. Trotzdem gehört er fußballerisch zu den Besten in Deutschland.

In Dortmund gibt es einerseits die große Unterstützung der Fans, allerdings auch eine sehr hohe Anspruchshaltung und einen großen medialen Fokus. Wie haben Sie das als Bestandteil des Trainerteams wahrgenommen?

Wir kennen die Rivalität zwischen Bayern und Dortmund aus der Vergangenheit. Dortmund wollte immer auf der gleichen Höhe sein, hat das teilweise auch geschafft, aber teilweise fehlte die Konstanz, um permanent oben dabei zu sein. Wenn ich an unsere Zeit zurückdenke: Auch Marco (Rose) ist ein Trainer mit sehr viel Ehrgeiz, der viel erreichen will. Für uns war das eine tolle Chance bei einem riesigen Verein mit einem guten Kader und extrem vielen Fans. Der Druck war natürlich anders als bei Borussia Mönchengladbach, wo wir zuvor gewesen sind. Aber diesem Druck haben wir uns gestellt. Wir hatten dort eine sehr schöne Zeit. Am Ende war der 2. Platz in der Liga wahrscheinlich zu wenig. Sicherlich hat uns auch das frühe Pokal-Aus geschadet. Es ist schwer, in so einem Verein permanent Ruhe zu haben, weil viele Leute mitreden. Aber das haben wir nicht als störend empfunden. Wir hatten eine gute Stimmung auf dem Platz, im Training und im Team. Das Ende kam für uns daher ein bisschen überraschend.

Über den Gesprächspartner

  • Alexander Zickler (Jahrgang 1974) war in seiner aktiven Zeit als Stürmer für Dynamo Dresen (1992-93), den FC Bayern München (1993-2005), den FC Red Bull Salzburg (2005-2010) und LASK Links (2010-11) aktiv, absolvierte zudem zwölf Länderspiele für die deutsche Nationalmannschaft. Als Co-Trainer war Zickler unter anderem für Borussia Mönchengladbach, Borussia Dortmund und RB Leipzig tätig.